Politische Matinée: Die Fernwirkungen der Oktoberrevolution – Was bleibt vom Traum einer friedlichen, gerechteren Welt?


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Vortrag und Diskussion mit Andreas Wehr

Es gilt zu begreifen, dass das Widersprüchliche in den sozialistischen Gesellschaften, beginnend bereits mit der Oktoberrevolution, selbst zu einer geschichtlichen Tatsache geworden ist. Die marxistische Theorie wurde als Anleitung zum Aufbau des Sozialismus genutzt. Sie hatte sich zu bewähren. Sie hatte ihren Praxistest zu bestehen. Und sie konnte dabei selbst nicht unverändert bleiben. Die marxistische Theorie wurde konkret, indem sie immer wieder neu interpretiert, indem sie fortlaufend ergänzt wurde. Dabei trat Neues hinzu, Unvorhergesehenes, Überraschendes. Anderes wurde verworfen, als untauglich erkannt. Würde man dies leugnen, würde man zugleich den dialektischen Geschichtsverlauf leugnen.
Beim Blick auf den Roten Oktober als auch auf die chinesische Revolution sollten wir uns davon freimachen, in beiden Ereignissen den ganz großen Sprung hin zu einer neuen Menschheit sehen zu wollen! Wir sollten endlich all diese eschatologischen und mystischen Vorstellungen ablegen, die lange Zeit mit ihnen verknüpft waren. Die Völker Russlands haben 1917 und die Chinas 1949 mit ihren Revolutionen Antworten auf existenzielle Fragen ihrer Nationen gegeben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger! Es wäre ein großes Missverständnis, verlangte man von ihnen, stellvertretend für die gesamte Menschheit deren große Träume von einer endlich gerechten Welt zu erfüllen. Und schon gar nichts schulden sie etwas einer westlichen Linken, die ihre eigenen Revolutionen nicht zustande gebracht hat!
Hat die Revolution in der Sowjetunion neue Eigentumsformen, neues Wirtschaften, neues Zusammenleben der Menschen, neue Formen der Kreativität und der Kultur hervorgebracht? Wäre dem großdeutschen Nazi-Reich ohne die Rote Armee überhaupt ein Ende bereitet worden? Wären die Befreiungsbewegungen der kolonialen Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ohne das Beispiel der Sowjetunion erfolgreich gewesen? Und ist der fortschreitende Abbau des Sozialstaats nicht auch eine Folge des Wegfalls der Konkurrenz durch DDR und Sowjetunion?
Andreas Wehr, Jurist, Journalist und Autor, war nach dem Studium tätig als Anwalt; 1989 bis 1999 beim Berliner Senat, u.a. Leiter des Büros des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper; von Dezember 1999 bis Ende 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke des Europäischen Parlaments in Brüssel.

Eine Veranstaltung von AG Politische Matinée in Kooperation mit Kulturzentrum Dieselstraße und ESIG – Esslinger Initiative für Gemeinsinn e. V..

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